Kurzrezension zu "Anatomy of a Fall"
- lorenzemig
- vor 3 Tagen
- 2 Min. Lesezeit
This review may contain spoilers!
Bei » Anatomie eines Falls « von Justine Triet macht der Titel die Musik des Films aus. Wir Zuschauer erwarten einen bis ins Detail ausgetüftelten Plot mit genialen Charakteren, Wendungen des Schicksals und einem Ende, das unser Warten belohnt. Aber dieser Film konzentriert sich, wie der Titel bereits verrät, auf die Anatomie, den Aufbau, die Struktur eines Falles - in diesem Sinne eines Mordfalls.
Direkt zu Beginn wird die unsympathisch wirkende Mutter (gespielt von Sandra Hüller) eingeführt, welche trinkt, flirtet und verbittert erscheint. Der Vater wird uns gar nicht erst vorgestellt, was uns eine Art Neutralität ihm gegenüber beschert oder gar einen vorzeitig parteilichen Bezug zur Mutter. Nur Infos durch Sandra, Aufnahmen Dritter oder Erinnerungen aus der Vergangenheit wird uns die Figur des Vaters Samuel (gespielt von Samuel Theis) offenbart. Alles deutet darauf hin, dass wir uns selbst eine Meinung bilden müssen, auch wenn wir eindeutig beeinflusst sind.
Am Ende geht es gar nicht darum, ob die Mutter schuldig ist, sondern darum, was wir als Zuschauer vermuten. Das ist nämlich oftmals die Wahrheit und Prämisse eines tragischen Gerichtsfalls. Es gibt keine eindeutige Gerechtigkeit, kein Urteil, das uns befriedigt, sondern Schaden, der hinterlassen wird und die Medien, die den Fall so für die Öffentlichkeit aufbereiten, wie sie es als am profitabelsten erachten. Die Fantasie der Menschen entscheidet über das Schicksal einer zerbrochenen Familie.
Eine Schlüsselsequenz, in der die Mutter am Ende sagt, dass man nach all der Anstrengung erwarte, dass man etwas gewinnt, denn es stünde so vieles auf dem Spiel, spiegelt diesen erbarmungslosen Kampf des Plots wieder. Aber nein, man gewinnt in diesem Sinne nichts. Der Anwalt Vincent (Swann Arlaud) antwortet für uns und spricht die Lösung dieser Problematik aus: Wertschätzung. „Manchmal erwarten wir zu viel.“
Am Ende siegt nicht die Wahrheit, die gibt es nämlich nicht - nicht in einem Fall, der so komplex ist, bestehend aus zahlreichen Konflikten, vergangenen Fehlern, unterschiedlichen Vorstellungen und vertretenen Werten.
Es siegt die Wahrheit des Sohnes, der sie sich so auslegt, dass seine Zukunft am wenigsten Kollateralschäden davonträgt. Nur so konnte die Mutter nach hause kehren.
Ein happy End - nicht für uns, jedoch aber für die fragilen Charaktere dieses Gerichtsfalles.
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